Forschungsbericht 2024 - Max-Planck-Institut für Physik

Der Dunklen Materie auf der Spur

Autoren
Schäffner, Karoline
Abteilungen

Max-Planck-Institut für Physik, Garching

Zusammenfassung
Die Dunkle Materie ist eines der faszinierendsten Themen in der modernen Teilchenphysik. Sie hinterlässt ihre Spuren im Universum: Verschiedene astronomische Beobachtungen deuten darauf hin, dass sie tatsächlich existiert. Allerdings können wir sie bisher nicht nachweisen und wissen auch nicht, woraus sie besteht. Wie viele andere sucht auch unsere Forschungsgruppe nach dieser rätselhaften Substanz.
 

Bereits in den 1930er-Jahren prägte der Astronom Fritz Zwicky den Begriff „Dunkle Materie“, als er die Bewegung einzelner Galaxien in Galaxienhaufen untersuchte – und feststellte, dass offenbar Masse fehlte. Dieser Effekt lässt sich auch in Spiralgalaxien beobachten. Die Sterne umkreisen das Zentrum einer Galaxie. Dabei ist die Umlaufgeschwindigkeit der außen gelegenen Sterne so groß, dass es die Galaxie eigentlich zerreißen müsste, was nicht der Fall ist. Offenbar gibt es daher neben all den Sternen eine zusätzliche Masse, deren Schwerkraft die Galaxien zusammenhält.

Seit Zwicky steht die Dunkle Materie auf der Fahndungsliste der Teilchenphysik. Ihr Steckbrief: Ein anonymes Teilchen, das sich ruhig verhält oder – in den Worten der Physik – vermutlich nur sehr schwach mit anderer Materie wechselwirkt und bekanntlich kein Licht aussendet. Daher auch ihr Name „Dunkle Materie“. Das Teilchen könnte eher schwer oder eher leicht sein. Die Teilchendetektive, also die Dunkle-Materie-Experimente, haben sich daher auf unterschiedliche Massen spezialisiert.

Vor etwa einem Vierteljahrhundert gab es Schlagzeilen vom DAMA/LIBRA-Experiment, das die Dunkle Materie mithilfe von Lichtblitzen sichtbar machen will. Es hatte Aufsehen erregende Signale aus dem Kosmos empfangen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zeichneten eine sich über das Jahr verändernde Kurve auf, die im Einklang mit dem vorhergesagten Verlauf steht. Wie lässt sich das erklären?

Wir gehen heute davon aus, dass die Dunkle Materie unsere Galaxie – die Milchstraße – wie ein Mückenschwarm umtanzt. Die Sonne und die Planeten, darunter auch die Erde, bewegen sich um das Zentrum der Milchstraße. Die Erde kreist um die Sonne, für einen kompletten Umlauf braucht sie ein Jahr. Ein halbes Jahr lang bewegt sich die Erde also in dieselbe Richtung wie die Sonne, die anderen sechs Monate hat sie sozusagen „Gegenwind“ – sie bewegt sich damit auch gegen die Dunkle Materie. Die Situation gleicht einer Fahrradfahrt bei Wind und Regen: Bei Rückenwind werden wir weniger nass als wenn wir gegen das stürmische Wetter strampeln.

Genau dieser Zusammenhang zeigt sich seit 26 Jahren in den mit DAMA/LIBRA gemessenen Daten. Ist die Dunkle Materie damit entdeckt? Nein, denn dafür müssten andere, unabhängige Messungen dieses Ergebnis bestätigen. Tatsächlich gibt es eine Reihe von Projekten, mit denen Forschende die DAMA-Signale reproduzieren wollen – bisher ohne Erfolg.

Auch das COSINUS-Experiment versucht Licht in das Dunkel der umstrittenen Ergebnisse zu bringen [1]. Es ist eine Kooperation der TU Wien, des Instituts für Hochenergiephysik der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), des Istituto Nazionale di Fisica Nucleare (Italien), des Helsinki Institute of Physics (Finnland) und des Max-Planck-Instituts für Physik. COSINUS arbeitet unter den gleichen Bedingungen wie DAMA/LIBRA, ist aber empfindlicher. Und es gibt neben Lichtdetektoren noch einen weiteren Nachweiskanal.

Wie DAMA/LIBRA verwendet COSINUS als Detektormaterial Kristalle aus Natriumiodid. Da wir uns bei der Spurensuche nicht nur auf ein Indiz verlassen wollen, kombinieren wir diese Nachweismethode mit einem zweiten Kanal: einem Thermometer, das winzige Temperaturunterschiede aufzeichnet, wenn Dunkle-Materie-Teilchen auf den Detektor treffen.

Wie funktioniert das Experiment? Wenn ein Teilchen der Dunklen Materie auf einen der Atomkerne im Detektormaterial trifft, wird Energie übertragen, die sich wie bei DAMA/LIBRA als Lichtsignal bemerkbar macht. Zugleich versetzt der Aufprall das Kristallgitter in Schwingung. In der Folge steigt die Temperatur im Kristall um etwa ein Millionstel Grad [2].

Um diesen minimalen Unterschied messen zu können, müssen die Natrium- und Iod-Atome im Kristall stillstehen. Dies ist beim absoluten Nullpunkt bei 0 Kelvin (-273,15 Grad Celsius) der Fall. Daher kühlen wir unser Experiment mit einer speziellen Kältemaschine, einem sogenannten Kryostaten, auf etwa 9 Millikelvin herunter.

Empfindliches Thermometer

Für die Messungen nutzen wir ein besonderes Thermometer, dessen Technologie an unserem Institut für das CRESST-Experiment entwickelt wurde. Es besteht aus einer dünnen Schicht eines supraleitenden Materials: Dieser Film arbeitet im Übergang zwischen einer normalen Stromleitung und einer Supraleitung und reagiert damit empfindlich auf sehr kleine Temperaturänderungen. Sobald sich die Temperatur durch die Kollision mit einem Dunkle-Materie-Teilchen auch nur geringfügig erhöht, steigt der elektrische Widerstand rapide an. Diesen Unterschied können wir messen [3],[4].

Unser Experiment haben wir im größten Untergrundlabor Europas aufgebaut: in den Laboratori Nazionali del Gran Sasso, rund hundert Kilometer von Rom entfernt. In einem Bergmassiv bietet ein Tunnelsystem Platz für die empfindlichen Messungen. Warum spielt der Ort eine so wichtige Rolle? Um Dunkle Materie und andere seltene Phänomene nachzuweisen, müssen Forschende ihre Detektoren vor kosmischer oder natürlicher radioaktiver Strahlung abschirmen. Im Gran Sasso-Labor bietet eine 1400 Meter dicke Felsschicht einen wirkungsvollen Schutz vor störendem Hintergrundrauschen.

Daneben treffen wir weitere Vorkehrungen, um echte Dunkle-Materie-Signale von falschen zu trennen. Die Detektoren werden in einem sieben Meter hohen Tank mit hoch reinem Wasser platziert. Das Becken ist mit Reflektorfolie ausgekleidet und mit Photomultipliern bestückt, um unerwünschte Ereignisse herauszufiltern [5].

Wir nähern uns mit großen Schritten dem Beginn der Messungen, zunächst mit acht Natriumiodid-Detektoren à 30 Gramm. Aktuell laufen die letzten Tests des Kryostaten. Mitte 2025 starten wir den Messbetrieb – und hoffen, dass wir in einigen Jahren Klarheit haben, ob die Signale von DAMA/LIBRA tatsächlich von der Dunklen Materie stammen. Falls nicht, läuft die Fahndung weiter.

Literaturhinweise

G. Angloher, M.R. Bharadwaj, I. Dafinei, N. Di Marco, L. Einfalt, F. Ferroni, S. Fichtinger, A. Filipponi, T. Frank, M. Friedl, A. Fuss, Z. Ge, M. Heikinheimo, K. Huitu, M. Kellermann, R. Maji, M. Mancuso, L. Pagnanini, F. Petricca, S. Pirro, A. Garai
First measurements of remoTES cryogenic calorimeters: Easy-to-fabricate particle detectors for a wide choice of target materials
Nuclear Instruments and Methods in Physics Research Section A 1045 (2023)
G. Angloher, P. Carniti, L. Cassina, L. Gironi C. Gotti, A. Gütlein, D. Hauff M. Maino, S. S. Nagorny, L. Pagnanini, G. Pessina, F. Petricca, S. Pirro, F. Pröbst, F. Reindl, K. Schäffner, J. Schieck, W. Seidel
The COSINUS project: perspectives of a NaI scintillating calorimeter for dark matter search
The European Physical Journal C (2016) 76:441
COSINUS Collaboration, G. Angloher, M. R. Bharadwaj, I. Dafinei, N. Di Marco, L. Einfalt, F. Ferroni, S. Fichtinger, A. Filipponi, T. Frank
COSINUS Collaboration, G. Angloher, M. R. Bharadwaj, I. Dafinei, N. Di Marco, L. Einfalt, F. Ferroni, S. Fichtinger, A. Filipponi, T. Frank
Particle discrimination in a NaI crystal using the COSINUS remote TES design
Physical Review D 109 (2024)
COSINUS Collaboration, G. Angloher, M. R. Bharadwaj, I. Dafinei, N. Di Marco, L. Einfalt, F. Ferroni, S. Fichtinger, A. Filipponi, T. Frank
Deep-underground dark matter search with a COSINUS detector prototype
Physical Review D 110 (2024)
COSINUS Collaboration
Simulation-based design study for the passive shielding of the COSINUS dark matter experiment
The European Physical Journal C  82 (2022)

Weitere interessante Beiträge

Zur Redakteursansicht