Forschungsbericht 2024 - Max-Planck-Institut für Kernphysik

Ein astrophysikalischer Jet rast in die Radarfalle

Autoren
Olivera-Nieto, Laura; Reville, Brian
Abteilungen

Max-Planck-Institut für Kernphysik, Heidelberg

Zusammenfassung
SS 433 ist ein faszinierendes Objekt in der Milchstraße. Das System emittiert zwei entgegengesetzt gerichtete Plasmastrahlen-Jets, die sich mit extrem hoher Geschwindigkeit vom System wegbewegen. Mit dem H.E.S.S.-Observatorium in Namibia gelang es nun, sehr energiereiche Gammastrahlen aus diesen Jets nachzuweisen. Damit konnten wir die genaue Position eines der effektivsten Teilchenbeschleuniger der Galaxis identifizieren. Durch den Vergleich der Gamma-Emissionen bei verschiedenen Energien konnten wir so die Dynamik eines relativistischen Jets in unserer Heimatgalaxie untersuchen.

Der Mikroquasar SS 433: ein faszinierendes astrophysikalisches Objekt

SS 433 ist ein Doppelsternsystem im Zentrum des Seekuh-Gasnebels. Es besteht aus einem Schwarzen Loch mit etwa der zehnfachen Masse der Sonne und einem Stern ähnlicher Masse, die einander in 13 Tagen umkreisen. Das Schwarze Loch „saugt“ mit seinem starken Gravitationsfeld Material von der Oberfläche des Sterns an. Das Material sammelt sich zunächst in einer heißen Gasscheibe um das Schwarze Loch an, bevor es schließlich dort hineinfällt. Dabei werden zwei gebündelte Strahlen geladener Teilchen (Plasma) senkrecht zur Ebene der Scheibe mit einem Viertel der Lichtgeschwindigkeit ausgestoßen (Abb. 1).

Diese Jets können im Radio- und Röntgenwellenlängenbereich bis zu einer Entfernung von knapp einem Lichtjahr auf beiden Seiten des zentralen Doppelsterns nachgewiesen werden. Dann werden sie zu schwach, um noch gesehen zu werden. Überraschenderweise tauchen sie jedoch etwa 75 Lichtjahre entfernt von ihrem Startpunkt plötzlich wieder als helle Röntgenquellen auf. Die Gründe dafür sind seit Langem unklar.

Ähnliche relativistische Jets werden auch in den Zentren aktiver Galaxien, zum Beispiel Quasare, beobachtet; allerdings sind diese Jets viel größer als die galaktischen Jets von SS 433. Aufgrund dieser Analogie werden Objekte wie SS 433 als Mikroquasare klassifiziert.

Gammasstrahlen-Emission

Bis vor kurzem gab es keinen Nachweis von Gammastrahlenemission eines Mikroquasars. Dies änderte sich jedoch 2018, als es dem High Altitude Water Cherenkov Gamma-ray Observatory (HAWC) zum ersten Mal gelang, sehr energiereiche Gammastrahlen aus den Jets von SS 433 nachzuweisen. Das bedeutet, dass irgendwo in den Jets Teilchen auf extrem hohe Energien beschleunigt werden. Doch es blieb unklar, wie oder wo dies genau geschieht.

Die Untersuchung der Gammastrahlenemission von Mikroquasaren bietet einen entscheidenden Vorteil: Zwar ist die hierfür interessante Region innerhalb der Jets von SS 433 mehr als 50-mal kleiner als die der nächstgelegenen aktiven Galaxie (Centaurus A), dafür befindet sich SS 433 im Inneren der Milchstraße, tausend Mal näher an der Erde als Centaurus A. Folglich ist die scheinbare Größe der relevanten Region in den Jets von SS 433 am Himmel viel größer, und ihre Eigenschaften lassen sich mit der aktuellen Generation von Gammateleskopen besser untersuchen.

Ausgelöst durch die HAWC-Entdeckung initiierte das H.E.S.S.-Observatorium eine Beobachtungskampagne des SS 433-Systems. Das Ergebnis dieser Kampagne waren rund 200 Stunden Daten und der eindeutige Nachweis von Gammastrahlenemission aus den Jets von SS 433. Dank der besseren räumlichen Auflösung im Vergleich zu früheren Messungen konnten wir erstmals den Ursprung der Gammastrahlenemission innerhalb der Jets genau bestimmen, was zu verblüffenden Ergebnissen führte [1, 2].

Erstmals Auflösung der Quelle des Gammaemission möglich

Während in der zentralen Region des Doppelsternsystems keine Gammastrahlenemission nachgewiesen werden kann, tritt die Emission in den äußeren Jets in einem Abstand von etwa 75 Lichtjahren beiderseits des Doppelsterns plötzlich auf. Dies ist eine Bestätigung früherer Röntgenbeobachtungen. Was uns dabei jedoch überraschte, war eine Verschiebung der Position der Gammastrahlenemission, je nachdem in welchem Energiebereich man das System betrachtete.

Die Gammaphotonen mit den höchsten Energien von mehr als 10 TeV werden nur an der Stelle nachgewiesen, an der die Jets abrupt wieder auftauchen (Abb. 2 rechts). Die Regionen, die Gammastrahlen mit niedrigeren Energien aussenden, erscheinen dagegen auch an Positionen weiter außerhalb entlang der Jets (Abb. 2 Mitte und links).

Dies ist die allererste Beobachtung der Energieabhängigkeit der Gammastrahlenemission eines astrophysikalischen Jets. Wir waren zunächst über diese Ergebnisse verwundert. Die Konzentration von so hochenergetischen Photonen an den Stellen, an denen die Röntgenjets wieder auftauchen, bedeutet, dass dort eine effiziente Teilchenbeschleunigung stattfinden muss, was zuvor nicht erwartet wurde.

Geschwindigkeitsmessung der Jets

Um die Geschwindigkeit der äußeren Jets erstmals abzuschätzen, haben wir die beobachtete Energieabhängigkeit der Gammastrahlenemission im Computer simuliert. Der Unterschied zwischen dieser Geschwindigkeit und derjenigen, mit der die Jets gestartet werden, deutet darauf hin, dass der Mechanismus, der die Teilchen weiter nach außen beschleunigt hat, ein starker Schock ist – eine sehr abrupte Änderung der Eigenschaften des Mediums. Das Vorhandensein eines Schocks würde dann auch eine natürliche Erklärung für das Wiederauftauchen der Jets im Röntgenlicht liefern, da beschleunigte Elektronen ebenfalls Röntgenstrahlung erzeugen.

Wenn diese schnellen Teilchen mit einem Lichtteilchen (Photon) kollidieren, geben sie einen Teil ihrer Energie an das Photon ab - so entstehen die bei H.E.S.S. beobachteten hochenergetischen Gammaphotonen. Dieser Vorgang wird als inverser Compton-Effekt bezeichnet.

Es gab viele Spekulationen über das Auftreten von Teilchenbeschleunigung in diesem einzigartigen System – dieses Rätsel ist nun gelöst: Unser Ergebnis erlaubt uns, den Ort der Beschleunigung und die Art der beschleunigten Teilchen genau zu bestimmen und die Bewegung von Jets zu untersuchen, die von einem Schwarzen Loch erzeugt werden. Noch bis vor Kurzem war es undenkbar, dass bodengestützte Gammastrahlenmessungen Aufschluss über die innere Dynamik eines solchen Systems geben könnten.

Allerdings ist nichts über den Ursprung der Schocks an den Stellen bekannt, an denen der Jet wieder auftaucht. Wir haben immer noch kein Modell, das alle Eigenschaften des Jets einheitlich erklären kann. Dies ist unser nächster Schritt, denn die relative Nähe von SS 433 zur Erde bietet eine einmalige Gelegenheit, das Auftreten von Teilchenbeschleunigung in relativistischen Jets zu untersuchen. Wir vermuten, dass sich diese Ergebnisse auf die tausendfach größeren Jets aktiver Galaxien und Quasare übertragen lassen. Das würde helfen, die vielen Rätsel um den Ursprung der energiereichsten kosmischen Strahlung zu lösen.

Literaturhinweise

H.E.S.S. Collaboration
Acceleration and transport of relativistic electrons in the jets of the microquasar SS 433
Science, 383 (6681), 402-406 (2024)
DOI: 10.1126/science.adi2048
Olivera-Nieto, L.
Resolving particle acceleration and transport in the jets of the microquasar SS 433 with H.E.S.S. and HAWC
PhD Thesis, Heidelberg (2024)
DOI: 10.11588/heidok.00032936

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